Über die Entstehung von Schützenbruderschaften
Uta Kirsten Remmers M.A.
Wann sich im Umgang mit Waffen geübte Bürger zum ersten Mal
zusammengeschlossen und eine Schützengesellschaft gebildet haben, ist nicht
bekannt. Schon die alten Germanen haben sich zu Männerbünden
zusammengeschlossen, die sich eigene Regeln gaben und bestimmte Bräuche
pflegten. Man geht aber heute meist davon aus, dass diese Art von Gemeinschaft
nicht die Mutter der heutigen Schützengesellschaften gewesen ist. Vor allem
deshalb, weil diese germanischen Gilden nicht ohne Unterbrechung erhalten
geblieben sind. Es gibt beinahe 500 Jahre lang keine Belege für ihre
Existenz.
Die Idee der heutigen
Schützenbruderschaften ist um das Jahr 1300 in Flandern entstanden. Wegen der
oft ungeklärten politischen Situation der damaligen Zeit war es notwendig, sich
selbst und seinen Besitz zu schützen. Man konnte nie sicher sein, dass der
heutige Landesfürst morgen noch etwas zu sagen haben würde. Alle rechtlichen
Vorschriften, die er erlassen hatte, konnten schon bald ungültig sein. Dann
konnte es vorkommen, dass Raubritter durchs Land zogen und die Bevölkerung um
ihre Habe und Existenzgrundlage brachten. Deswegen übten sich die Männer im Umgang mit Waffen. Die Waffen der
Zeit waren Bogen und Armbrust, deren Benutzung besonderes Geschick
verlangt. Schiesspulvergeschütze gab es zwar schon seit etwa 50
Jahren, aber die handlichere Büchse wurde erst im Jahr 1430
erfunden.
Es war aber auch die Zeit der
Stadtentwicklung, als die Menschen nicht mehr nur Bauern auf dem Land waren,
sondern Bürger einer Stadt. Was wir heute als anonyme Großstadt bezeichnen, wird
im Mittelalter auf die Menschen ähnlich gewirkt haben. Man kannte die Mitbürger
nicht mehr, weil es zu viele waren. Deswegen konnte man auch nicht erkennen,
wann jemand Hilfe brauchte. Also tat man sich zu Zünften und Gesellschaften
zusammen um die sozialen Bedürfnisse pflegen zu können. Die geübten Schützen
konnten dabei in der Bürgerwehr auch die Stadtverteidigung und -sicherung
übernehmen.
In einer mittelalterlichen Stadt bestand immer die Gefahr
eines Brandes, der sich wegen der engen Gassen schnell zu einem Stadtbrand
ausweiten und ganze Stadtteile vernichten konnte. Sollte ein Feuer ausbrechen,
war es von entscheidender Bedeutung, den Brand so schnell wie möglich zu
löschen. Viele der neu entstehenden Gesellschaften verfügten daher, dass jedes
Mitglied über einen Löscheimer zu verfügen habe. Nur so konnte ein organisiertes
Handeln das Schlimmste verhindern.
Die mittelalterlichen Vereinigungen
umfassten alle Bereiche des Lebens: Religiöse, soziale und wirtschaftliche
Bedürfnisse wurden gleichermaßen abgedeckt. Wer einer Zunft oder Bruderschaft
angehörte, konnte sich darauf verlassen, dass diese Gemeinschaft ihn tragen
würde, wenn er plötzlich verarmen sollte, ihm das Haus abbrannte oder er krank
wurde. Für sein Seelenheil würde auch nach seinem Tod gebetet werden, ein
christliches Begräbnis war garantiert. Die Menschen des Mittelalters waren auch
in ihrem Alltag enger mit der Kirche verbunden, als wir es heute sind. Sie
richteten ihr gesamtes Leben danach aus. Die Städte wetteiferten darin, große,
hohe Kirchen und Dome zu bauen. Die Zünfte und Gilden stellten sich unter den
besonderen Schutz eines Heiligen und finanzierten ihm zu Ehren oft einen Altar.
Dort ließen sie einen Geistlichen täglich die Messe lesen. Verstöße gegen die
Satzung der Gemeinschaft wurden mit Wachs für die Kerzen dieses Altares bezahlt.
Je nach Handwerk und Bedürfnis waren bestimmte Heilige zuständig: Katharina war
z.B. die Patronin der Wagner, weil ihre Legende sagt, dass sie gerädert werden
sollte. Die Schiffer und Seefahrer riefen Nikolaus um Hilfe an, der einst ein
Schiff im Sturm beschützt haben soll. Agathe sollte die Stadt vor Feuer
schützen, der Goldschmied Eligius war Patron der Schmiede und Goldarbeiter. Der
Zimmermann Josef ist bis heute Patron aller in diesem Handwerk Tätigen.
Im Oktober 1347 trat in Messina die Pest
auf. Man konnte der Seuche nichts entgegensetzen. In mehreren Pestwellen wurde
beinahe ein Drittel der Bevölkerung Europas hingerafft. Weder Gebete noch Bittprozessionen
halfen gegen die verheerende Krankheit. Verzweifelt suchten die
Menschen nach Schuldigen. So wurden 1348 elf Juden beschuldigt,
Brunnenwasser verseucht und dadurch die Pest verursacht zu haben.
Man verurteilte sie zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Damals setzte
eine bis dahin nicht da gewesene Judenverfolgung ein. Mitte
Dezember 1349 erreichte die Pest Köln. Die Übertragungsweise der
Krankheit war nicht bekannt, sie schien wie aus dem Nichts zu den
Menschen zu fliegen. Schon in der Antike hatte man sich deswegen
vorgestellt, dass die Ansteckung mit unsichtbaren Pfeilen
erfolge. Die Menschen des Mittelalters besannen sich auf den
Heiligen Sebastian, der durch Pfeilbeschuss hatte sterben sollen, diesen Angriff
aber überstand. Seine Reliquien waren schon im Jahr 680 in Rom erfolgreich gegen
die Pest eingesetzt worden. Nach der Prozession war die Seuche dort erloschen.
In ihrer Not wandten sich die Menschen auch jetzt den Heiligen zu. Sie flehten
neben Sebastian die 14 Nothelfer, Rochus, Antonius und viele andere um Hilfe an.
Insbesondere die Bruderschaften sahen ihre persönliche Hilfeleistung aber nicht
nur im Gebet für die Kranken. Unter Gefährdung ihres eigenen Lebens sorgten sie
für ein christliches Begräbnis der unzähligen Toten, nahmen sich der Waisen an
und bewachten die leerstehenden Häuser, damit sie nicht geplündert wurden. Sie
hielten das christliche Gebot der Nächstenliebe und -hilfe aufrecht, obwohl
unvorstellbare Verhältnisse herrschten. Die große Zahl der Toten hatte nämlich
auch wirtschaftliche und soziale Folgen. Es herrschte Hunger, weil niemand
mehr die Felder bestellte und das Vieh versorgte. Ein zerbrochenes Wagenrad
blieb zerbrochen, weil der letzte Wagner der Stadt am Tag zuvor an der Pest
gestorben war. Nur Eigeninitiative und gegenseitige Unterstützung konnten jetzt
noch helfen. Diese schreckliche Zeit war eine der Blütezeiten des
Bruderschaftsgedankens. Die beiden Pfeile über dem Kreuz sind zwar erst
Jahrhunderte später zu unserem Verbandsabzeichen geworden. Sie können uns aber
auch heute noch an diese Zeit der intensiv gelebten Nächstenliebe erinnern, als
man die pestverseuchten Häuser mit zwei gekreuzten Pfeilen markierte.
Im Laufe der Jahre etablierten sich die
Schützengesellschaften. Auf Blütezeiten folgten Zeiten des Niedergangs. Die
Reformation und der der 30-jährige Krieg stellten z.B. einen starken Einschnitt
dar. Die Bruderschaften riskierten manchmal aber auch durch ihr eigenes
Verhalten, verboten zu werden. Im 18. Jahrhundert war die Obrigkeit nicht erbaut
vom übermäßigen Treiben und aufwendigen Feiern der Schützen. „Schützenspiel ist
Müßiggang!“ befand der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I, genannt der
Soldatenkönig, und hob 1728 alle Schützengilden und -gesellschaften auf. Noch 40
Jahre später war der Kurfürst von Köln der Überzeugung, dass die eigentlich
wieder üblichen Aufzüge Anlass zu Feuersbrünsten, Saufgelagen und anderen
Unordnungen Anlass geben würden. Er verbot diese Aufzüge kurzerhand.
Die Industrialisierung brachte Ende des 18.Jahrhunderts neuen
Aufschwung für das Bruderschaftswesen: 1785 meldete James Watt die
Dampfmaschine zum Patent an. Die Erfindung war vielfältig
einsetzbar, z.B. bei Schmiedehämmern und der Eisenbahn. Plötzlich
wurde eine große Zahl Industriearbeiter benötigt. Eine ganz neue
Gesellschaftsklasse entstand. Aber der Segen, Arbeit und Brot zu
haben, verkehrte sich schnell ins Gegenteil. Die Konkurrenz der
einzelnen Industriefirmen hatte sinkende Preise zur Folge. Die
Arbeiter wurden geringer entlöhnt und rutschen in die Armut ab.
Dazu kam eine Bevölkerungsexplosion. Die Arbeitsbedingungen wurden
immer härter. In manchen Bergwerken fiel die Lebenserwartung auf 19
Jahre. Die Menschen wurden mehr und mehr entwurzelt.
Familienverbände wurden durch Frauen- und Kinderarbeit zerstört.
Scharenweise sahen die Menschen sich gezwungen, ihre Heimat in
Richtung Amerika zu verlassen und dort ein neues, besseres Leben zu
beginnen. Lange Zeit gab es für das Elend keine Hilfestellung von
der Kirche. Sie ließ ihre Gläubigen allein. Das gab der
Bruderschaftsbewegung neuen Boden. Damals gründeten sich viele
Bruderschaften, die wieder inneren Halt gaben und soziale Hilfe
leisteten.
Nach den Verfassungen von 1848 und 1850 trugen die
Schützenvereine und -bruderschaften wie alle anderen Vereine auch
stark patriotische Züge. Eine vaterländische Gesinnung aller
Mitglieder war nämlich Grundvoraussetzung für die behördliche
Genehmigung. Eine große Zahl von überregionalen Vereinigungen wie
z.B. der Deutsche Schützenbund stammen aus dieser Zeit.
Anfang Dezember 1926, acht Jahre nach Ende des Ersten
Weltkrieges, schlossen sich die drei großen deutschen Schützenverbände zur
„Reichsgemeinschaft für Kleinkaliberschießsport“ zusammen. Im selben Jahr rief
Papst Pius XI. zur katholischen Aktion auf. Zwei Jahre später stellte sich die
„Erzbruderschaft vom Heiligen Sebastianus“ diese Aktion zur
Aufgabe. |